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Das Günstigkeitsprinzip und die Normenpyramide im Arbeitsrecht

Wenn Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag unterschreiben und gleichzeitig noch eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist, stellt sich regelmäßig die Frage, welche Regelung nun Vorrang hat. Genau hier spielen zwei zentrale Mechanismen eine Rolle: die Normenpyramide (auch Rangprinzip genannt) und das Günstigkeitsprinzip .

Diese beiden Grundsätze regeln, welche rechtlichen Bestimmungen bei einem Konflikt Vorrang haben und welche Regelungen tatsächlich zur Anwendung kommen. Doch wie greifen das Günstigkeitsprinzip und die Normenpyramide ineinander? In diesem Artikel beleuchten wir, wann das Günstigkeitsprinzip und wann das Rangprinzip im Arbeitsrecht angewendet wird und warum es für Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber von entscheidender Bedeutung ist, diese Prinzipien zu verstehen.

Normenkollision im Arbeitsrecht

Das gesamte Arbeitsrecht speist sich aus einer Vielzahl verschiedener Rechtsquellen. Zunächst gibt es zahlreiche Bundes- und Landesgesetze mit Bezug zum Arbeitsrecht, wie nur ganz beispielhaft das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) , das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) , das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntGFG) oder das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) . Darüber hinaus sind auf jedes Arbeitsverhältnis auch die vertraglichen Regelungen anwendbar; hierzu zählen der Arbeitsvertrag sowie insbesondere Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Und selbstverständlich entfalten auch die Grundrechte Wirkung auf das Arbeitsverhältnis und nicht zu vergessen: die europa-und völkerrechtlichen Bezüge. Aber auch aus einer betrieblichen Übung können sich Ansprüche ergeben . Darüber hinaus ist kaum ein Rechtsgebiet so stark von der Rechtsprechung geprägt, wie das Arbeitsrecht.

Es kommt deshalb häufig vor, dass ein Sachverhalt über mehrere Rechtsquellen zu beantworten ist (sog. Normenkollision ). Das ist beispielsweise der Fall, wenn es eine gesetzliche Regelung zum Urlaubsanspruch gibt und zwei vertragliche Regelungen - wie zum Beispiel dort, wo sowohl der Arbeitsvertrag Bestimmungen zum Urlaubsanspruch enthält, als auch ein Tarifvertrag mit solchen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist. Hier stellt sich dann die Frage, welche Vorschrift vorrangig auf das Arbeitsverhältnis anwendbar ist.

Aus diesem Grund sind im Arbeitsrecht drei wesentliche Prinzipien anerkannt, die zur Beantwortung dieser Fragen dienen.

Das Rangprinzip im Arbeitsrecht (Normenpyramide)

Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht zunächst das Rangprinzip (auch Normenpyramide oder Normenhierarchie genannt). Demnach gilt von zwei oder mehreren Normen die einen Sachverhalt regeln können, prinzipiell immer die höherrangige Norm .

Die Rangfolge arbeitsrechtlicher Normen nach dem Rangprinzip sieht folgendermaßen aus:

- EU-Recht

- Deutsche Verfassung des Grundgesetzes

- Allgemeine Gesetze (BGB, KSchG, BUrlG usw.)

- Rechtsverordnungen, Gewohnheitsrecht und Rechtsprechung

Demnach kann eine Regelung im Arbeitsvertrag nicht gegen ein zwingendes (nicht disponibles) Gesetz verstoßen, da das Gesetz im Vergleich zum Arbeitsvertrag höherrangig ist. Beispielsweise ist eine Vereinbarung über einen Lohn, der unter dem gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn des MiLoG liegt genau so unwirksam, wie eine arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit , die über der gesetzlich zugelassenen Grenze im ArbZG liegt.

Ein Gesetz wiederum darf nicht gegen das Grundgesetz oder EU-Recht verstoßen, da letztere in der Normenhierarchie über den einfachen Gesetzen stehen.

Eine Ausnahme vom Rangprinzip wird aber dort gemacht, wo die niedrigere Regelung eine günstigere Regelung für den Arbeitnehmer enthält.

Das Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht

Das Günstigkeitsprinzip im Arbeitsrecht ist eine international anerkannte und aus der Rechtsprechung entwickelte Kollisionsregel. Diese besagt, dass von mehreren anwendbaren Normen diejenige den Vorrang hat, die für den Arbeitnehmer objektiv am günstigsten ist. Mit objektiv ist gemeint, dass es nicht auf den subjektiven Einzelfall ankommt. Eine zweimonatige Kündigungsfrist ist beispielsweise objektiv gesehen besser, als eine einmonatige – auch dann, wenn der einzelne Arbeitnehmer vielleicht möglichst schnell das Arbeitsverhältnis kündigen und das Unternehmen verlassen möchte. Hier kann sich der Arbeitnehmer nicht auf die für ihn kürzere und somit günstigere Kündigungsfrist berufen.

Durch das Günstigkeitsprinzip wird auch das oben genannte Rangprinzip durchbrochen . Wenn beispielsweise im Gesetz ein Urlaubsanspruch von vier Wochen festgesetzt ist und im Arbeitsvertrag sechs Wochen Urlaubsanspruch vereinbart wurden, dann gilt die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung aus dem Arbeitsvertrag. Im anderen Fall, wenn der Arbeitsvertrag einen Urlaubsanspruch von vier Wochen gewährt und ein Tarifvertrag fünf Wochen Urlaubsanspruch, dann gilt die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung von fünf Wochen, die sich aus dem Tarifvertrag ergibt. Folglich wäre dann die ungünstigere Regelung aus dem Arbeitsvertrag unwirksam.

Ein anderes Beispiel für das Günstigkeitsprinzip wäre eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die bei Geburt des Kindes einen Sonderurlaub von drei Tagen gewährt. Wenn im Tarifvertrag für diesen Fall ein Sonderurlaub von nur zwei Tagen vereinbart wurde, dann wäre diese Regelung aus dem Tarifvertrag eigentlich wegen des Rangprinzips vorrangig. Hier gilt aber aufgrund des Günstigkeitsprinzip die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung mit drei Tagen Sonderurlaub. Bei einer Abweichung zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung im Zusammenhang mit Arbeitsentgelten und sonstigen Arbeitsbedingungen gilt das Günstigkeitsprinzip bezogen auf eine Betriebsvereinbarung wegen § 77 Abs. 3 BetrVG nur, wenn der Tarifvertrag eine abweichende Regelung ausdrücklich zulässt. Ansonsten ist der Tarifvertrag in diesen Punkten zwingend.

Eine für den Arbeitnehmer negative Abweichung vom Tarifvertrag ist auch im Übrigen nur dann zulässig, wenn der Tarifvertrag negative Abweichungen zu Lasten des Arbeitnehmers ausdrücklich zulässt; die sogenannte Öffnungsklausel aus § 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) . Fehlt solch eine Öffnungsklausel und ist ein Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar, dann sind alle Abweichungen vom Tarifvertrag zuungunsten des Arbeitnehmers unwirksam. Anders gesprochen: das Günstigkeitsprinzip kann nur dann wirksam durchbrochen werden, wenn der anwendbare Tarifvertrag dies ausdrücklich durch eine Öffnungsklausel zulässt . Solch eine Öffnungsklausel könnte also lauten, dass von bestimmten Regelungen durch einzelvertragliche Regelungen im Arbeitsvertrag auch Zulasten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf.

Das Spezialitätsprinzip und Ordnungsprinzip

Das Spezialitätsprinzip und Ordnungsprinzip bezieht sich auf gleichrangige Rechtsquellen, also Regelungen die im Rangprinzip auf der gleichen Stufe stehen. Bei Rechtsquellen gleichen Rangs gilt also das Günstigkeitsprinzip nicht.

Wie im gesamten Recht findet auch auf das Arbeitsrecht das Spezialitätenprinzip Anwendung. Durch das Spezialitätenprinzip geht immer die Rechtsquelle vor, die von der Weite und Tiefe ihres Anwendungsbereichs spezieller auf den Sachverhalt passt. So geht beispielsweise ein Haustarifvertrag einem Flächen- oder Branchentarifvertrag vor, da der Anwendungsbereich des Haustarifvertrags spezieller ist. Spezielle Vorschriften zum Kündigungsschutz in der Elternzeit oder bei Schwangeren sind den allgemeinen Kündigungsvorschriften vorzuziehen.

Das Ordnungsprinzip wiederum besagt, dass die neue Regelung gegenüber älteren Regelungen den Vorrang genießt. Die neue Regelung verdrängt also die ältere. Das ist insbesondere bei Tarifverträgen der Fall. Alte Tarifverträge verlieren mit einem neu in Kraft getretenen Tarifvertrag ihre Gültigkeit. Eine Ausnahme sind Verweise im neuen Tarifvertrag auf die Gültigkeit von einzelnen Passagen aus dem alten Tarifvertrag.

Zusammenfassung Günstigkeitsprinzip und Normenpyramide

  • Das Arbeitsrecht speist sich aus einer großen Zahl verschiedener Rechtsquellen.
  • Aus diesem Grund gibt es im Arbeitsrecht verschiedene Prinzipien, um Konflikte zu lösen, wenn mehrere Rechtsquellen Bestimmungen enthalten, die einen bestimmten Sachverhalt regeln könnten (sog. Normenkollision).
  • Das Rangprinzip besagt, dass grundsätzlich immer die höhere Rechtsquelle aus der Normenhierarchie anzuwenden ist. Beispielsweise Grundrechte vor allgemeinen Gesetzen. Und beispielsweise Tarifverträge vor Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen.
  • Das Günstigkeitsprinzip durchbricht das Rangprinzip immer dort, wo eine niedrigere Rechtsquelle eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthält.
  • Vereinbarungen die zu Lasten des Arbeitnehmers von einem Tarifvertrag abweichen sind nur dort zulässig, wo der Tarifvertrag dies ausdrücklich durch eine Öffnungsklausel zulässt.
  • Das Spezialitätsprinzip gilt im gesamten Recht und gibt immer der Norm den Vorrang, die einen Sachverhalt spezieller regelt. Beispielsweise ist ein Firmentarifvertrag spezieller, als ein Flächentarifvertrag.
  • Das Ordnungsprinzip sorgt dafür, dass eine neue Regelung die ältere Regelung verdrängt. Alte Regelungen zum Urlaubsgeld werden beispielsweise durch gleiche Regelungen im neuen Tarifvertrag verdrängt.


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